BVerfG: Verlustuntergang nach § 8c KStG teilweise verfassungwidrig


Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29.03.2017 entschieden, dass der in § 8c Abs. 1 S.5 KStG geregelte Verlustuntergang verfassungswidrig ist, soweit er Anteilsübertragungen von 25% bis 50% betrifft. 447352_web_R_K_by_Thorben Wengert_pixelio.de

Hintergrund: Die Vorschrift in § 8c KStG regelt u.a., dass bei Anteilsübertragungen von 25% bis 50% der Anteile an einer Kapitalgesellschaft anteilig auch bestehende Verlustvorträge untergehen. Begründet wurde diese Regelung damit, dass die neuen Gesellschafter die Verlust wirtschaftlich nicht getragen hätten und somit dadurch auch nicht begünstigt werden sollten. Die Gesellschaft verliere zumindest teilweise ihre Identität. Die Gesellschaft nach Anteilsübertragung sei nicht mehr identisch mit derjenigen zuvor. Faktisch war Anlass für diese Regelung die Einschränkung des sog. Mantelkaufs zum Zwecke der Verlustnutzung.

Das Gericht hat zwar zugestanden, dass es grundsätzlich ein legitimer Gesetzeszweck sei, Regelungen zur Verhinderung von Mißbrauchsgestaltungen, wie z.B. dem Mantelkauf zu treffen. Die konkrete Regelung sei aber deshalb verfassungswidrig, weil sie mit allzu grobem Raster einen Mißbrauch allein an Beteiligungsquoten festmache.

Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, bis zum 31.12.2018 rückwirkend zum 1.1.2008 eine Neuregelung zu treffen.

Ausblick: Der jetzige Beschluss betrifft  nur Anteilsübertragungen zwischen 25% und 50%. Allerdings ist beim BFH unter dem Aktenzeichen I R 31/11) noch Verfahren anhängig, bei dem es um Übertragungsquoten von mehr als 50% und demnach den vollständigen Verlustuntergang geht. Dieses Verfahren wurde in Erwartung der Entscheidung des BVerfG bislang ausgesetzt, dürfte jetzt aber fortgeführt werden.

Steuerliche Problemfelder bei der Unternehmenssanierung


Bei der Sanierung eines Unternehmens in der Krise sind immer auch die möglichen steuerlichen Folgen der Sanierungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Dabei liegen vor  allem drei Themen  regelmäßig auf dem Tisch:

  • die Steuerpflicht eines Sanierungsgewinnes,
  • der Untergang von Verlustvorträgen bei Investoreneintritt zum Zwecke der Sanierung,
  • die Wirkungen der Mindestbesteuerung.

Alle diese Fragen stehen im Übrigen nicht nur bei der außergerichtlichen Sanierung an, sondern auch bei der Restrukturierung mithilfe des Insolvenzrechtes, z.B. in einem Insolvenzplanverfahren.

 

Sind Sanierungsgewinne steuerpflichtig?

Hilfreich für die Sanierungspraxis wäre es sicherlich, wenn an dieser Stelle kein Fragezeichen stehen müsste. Tatsächlich herrscht  aber gegenwärtig keine Rechtssicherheit.

Sanierungsmaßnahmen sind häufig mit Forderungsversuchten von Gläubigern verbunden. Daraus entsteht regelmäßig eine bilanzierter Buchgewinn, der – soweit er nicht durch Verlustvorträge neutralisiert werden kann, auch grundsätzlich steuerpflichtig ist. Bis  2002 war durch gesetzliche Regelung im EStG der Sanierungsgewinn steuerbefreit. Der Gesetzgeber hat diese Regelung dann aufgehoben.  In der Praxis existiert die Steuerbefreiung des Sanierungsgewinnes aber weiter,  weil die Finanzämter den sog. Sanierungserlass des Bundesfinanzministeriums aus 2003 anwenden. Dieser führt in einem mehrstufigen Verfahren (Verrechnung mit Verlustvorträgen, die Steuerstundung und anschließenden Steuererlass) letztlich zur Steuerbefreiung des Sanierungsgewinnes auf dem Wege sog. Billigkeitsmaßnahmen, zumindest für die Ertragsteuern, die durch die Finanzämter verwaltet werden: die Körperschaft- und die Einkommensteuer.

Als weitere Ertragsteuer, die an einen Sanierungsgewinn anknüpft kommt jedoch regelmäßig die Gewerbesteuer ins Spiel. Die wird von den Kommunen erhoben, die an Billigkeitsmaßnahmen der Finanzämter nicht gebunden sind. Folglich sind auch diese durch gesonderte Anträge, die auf den gleichen Argumenten fußen, zur Erzielung der Steuerfreiheit einzubinden. Allerdings  entscheiden die Kommunen nach eigenem Ermessen entscheiden und sind nich an den Sanierungserlass des BMF gebunden.
Das größte aktuelle Problem liegt aber darin, dass der Sanierungserlass selbst auf rechtlich wackeligen Beinen steht. Gegenwärtig liegt die Frage der Rechtmäßigkeit des Erlasses dem Großen Senat des BFH zur Entscheidung vor. Im Raum stehen vor allem zwei Fragen: 1. Kann die Verwaltung (also das Bundesfinanzministerium) quasi durch die Hintertür wieder die Regelung – nämlich die Steuerfreiheit – einführen, die der Gesetzgeber zuvor ausdrücklich abgeschafft hat? 2. Ist die Steuerfreistellung des Sanierungsgewinnes möglicherweise eine Verstoß gegen das EU-Beihilferecht, weil es deutsche Unternehmen wettbewerbswidrig  privilegiert? Eine Entscheidung wird möglicherweise in 2016 fallen, falls der Große Senat des BFH nicht letztere Frage zunächst dem EuGH zur Stellungnahme vorlegt.

Anteilskauf durch Investoren

Ein weiteres Problemfeld bei Kapitalgesellschaften ist der Erwerb von Anteilen am zu sanierenden Unternehmen durch einen externen Investor. Häufig ist gerade der Einstieg eines externen Investors der einzige Weg um frisches Eigenkapital zu besorgen und damit auch Fremdkapitalgeber wie Banken und Lieferanten bei der Stange zu halten.

Werden aber durch diesen Beteiligungskauf mehr als 25% des vorherigen Stammkapitals übertragen, geht ein Verlustvortrag bei der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer anteilig in Höhe der übertragenen Beteiligungsquote unter. Werden mehr als 50% übertragen geht der Verlustvortrag ganz unter. D.h. Verluste, die ja gerade bei Krisenunternehmen häufig in der Vergangenheit entstanden sind, können für die Sanierung nicht mehr genutzt werden (§ 8c Abs. 1 KStG).

Der deutsche Gesetzgeber hatte dieses Problem durchaus gesehen, und im § 8c Abs. 1a KStG eine Ausnahmeregelung für den Fall der Sanierung vorgesehen, wenn tatsächlich frisches Eigenkapital zugeführt wird. Diese Regelung hat die europäische Kommission jedoch für europarechtswidrig erklärt und die weitere Anwendung untersagt. Da die Bundesrepublik Deutschland die Rechtsbehelfsfrist gegen diesen Beschluss versäumt hat, müssen wir also gegenwärtig damit leben, dass die Verlustvorträge untergehen.

Eingeschränkte Verlustverrechnung durch die Mindestbesteuerung

Selbst wenn der Verlustvortrag nutzbar bleibt, ganz oder nur teilweise (z.B. im Jahr des Eintritts eines Investors), tritt ein weiteres steuerliches Problemfeld hinzu: die  sog. Mindestbesteuerung. Die Regel besagt folgendes: Verluste können nur bis zu einer Million Gewinn unbeschränkt abgezogen werden und darüberhinaus nur zu 60%. Das heisst, dass 40% des Sanierungsgewinnes, der 1 Mio € übersteigt, immer steuerpflichtig bleiben.

Andere Problemfelder

Vorstehend haben wir nur die „Standard-Probleme“ aufgezeigt, die bei nahezu jeder Sanierung in steuerlicher Hinsicht auftreten.
Es gilt jedoch zu berücksichtigen, dass auch andere Steuerarten tangiert werden können, so z.B. die Erbschafts- und Schenkungssteuer und fast immer die Umsatzsteuer. Gerade letztere stellt vor allem bei der Sanierung mittels Insolvenzrecht (z.B. Schutzschirmverfahren, Eigenverwaltung, Insolvenzplan) eine besondere Herausforderung dar.

Sanierungssteuerrecht | FG Münster: Verstößt Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG tatsächlich gegen Gemeinschaftsrecht?


 

FG Münster

Der 9. Senat des Finanzgerichts Münster hat erhebliche Zweifel, ob die sog. Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG tatsächlich – wie die Europäische Kommission festgestellt hat – als unzulässige Beihilfe anzusehen ist (Beschluss vom 1. August 2011, 9 V 357/11 K, G). Das Finanzgericht hat daher im Streitfall die Vollziehung von Steuerbescheiden ausgesetzt, in denen das Finanzamt unter Hinweis auf § 8c Abs. 1 KStG Verluste nicht mehr berücksichtigt hatte, obwohl unstreitig die Voraussetzungen der Sanierungsklausel erfüllt waren.

 Zum Hintergrund: Körperschaften – wie z.B. im Streitfall eine GmbH – können grundsätzlich nicht genutzte Verluste aus Vorjahren mit Gewinnen verrechnen. Werden jedoch Gesellschaftsanteile übertragen, d.h. kommt es zu einem Gesellschafterwechsel, so verbietet § 8c Abs. 1 KStG in bestimmten Fällen ganz oder teilweise den Abzug früherer Verluste. Diese Beschränkung des Verlustabzugs gilt allerdings gem. § 8c Abs. 1a KStG nicht, wenn der Beteiligungserwerb zum Zweck der Sanierung des Geschäftsbetriebs erfolgt. Daher ist die Verlustnutzung in Sanierungsfällen unter bestimmten Voraussetzungen trotz einer „schädlichen“ Anteilsübertragung im Sinne des § 8c Abs. 1 KStG möglich.

Die Europäische Kommission sieht allerdings in § 8c Abs. 1a KStG eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare Beihilfe. Aufgrund einer entsprechenden Entscheidung der Kommission vom 26. Januar 2011 dürfen deutsche Finanzämter die Sanierungsklausel grundsätzlich nicht mehr anwenden – trotz der seitens der Bundesregierung insoweit beim Gericht der Europäischen Union erhobenen Nichtigkeitsklage. 

Im Streitfall hatte die Entscheidung der Europäischen Kommission zur Folge, dass das Finanzamt zunächst bei der Antragstellerin wegen der Geltung der Sanierungsklausel des § 8c Abs. 1a KStG berücksichtigte Verluste nicht mehr anerkannt hat. Die Antragstellerin sieht sich daher Steuerforderungen gegenüber, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden. Sie beantragte deshalb, die Vollziehung der Steuerbescheide trotz der Entscheidung der Europäischen Kommission auszusetzen. 

Der 9. Senat des Finanzgerichts Münster hat dem Antrag mit Blick auf den ansonsten für die Antragstellerin drohenden schweren, nicht wiedergutzumachenden Schaden entsprochen und seine Entscheidung mit ernstlichen Zweifeln an der Auffassung der Europäischen Kommission begründet. Nicht nur das Gericht der Europäischen Union, sondern auch die nationalen Gerichte seien in einem solchen Fall zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes befugt. Es sei fraglich, ob die (den Verlustabzug erhaltende) Sanierungsklausel eine begünstigende Ausnahme vom „Normalfall“ der Besteuerung enthalte. Denn zweifelhaft sei, ob als „Normalfall“ der grundsätzlich zugelassene Verlustabzug oder die Abzugsbeschränkung des § 8c Abs. 1 KStG angesehen werden müsse. Zudem gelte die Sanierungsklausel für jedes Unternehmen, das sich in finanziellen Schwierigkeiten befinde, ohne dass eine Bevorzugung bestimmter Branchen oder Unternehmen ersichtlich sei. 

Das Gericht wies zudem darauf hin, dass eine Aussetzung der Vollziehung – ungeachtet der Frage der Gemeinschaftswidrigkeit der Sanierungsklausel – auch deshalb geboten sei, weil das Verlustabzugsverbot des § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG möglicherweise gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG verstoße und verfassungswidrig sei. Entsprechende Bedenken ergäben sich jedenfalls mit Blick auf den Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 4. April 2011 (2 K 33/10), mit dem die Frage der Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG dem Bundesverfassungsgericht (2 BvL 6/11) vorgelegt worden sei. Auch bestehe ein besonders gewichtiges Interesse der Antragstellerin an einer Aussetzung der Vollziehung, weil ihr andernfalls irreparable Nachteile drohten. Der 9. Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung die Beschwerde zum Bundesfinanzhof zugelassen.

Quelle: Finanzgericht Münster, Pressemitteilung Nr. 11 vom 15.08.2011

 

Verfassungsrechtliche Zweifel an der sog. Mindestbesteuerung


Pressemitteilung des BFH zum Beschluss vom 26.08.10   I B 49/10:

 „Der Bundesfinanzhof (BFH) hat am 26. August 2010 I B 49/10 in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes entschieden, dass die sog. Mindestbesteuerung in bestimmten Situationen zu einer verfassungsrechtlich unangemessenen Besteuerung führen kann.

Seit 2004 dürfen in den Vorjahren nicht ausgeglichene negative Einkünfte in den folgenden Veranlagungszeiträumen zwar bis zur Höhe von 1 Mio. Euro unbeschränkt von einem entsprechend hohen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte abgezogen werden, ein übersteigender Verlustbetrag aber nur bis zu 60% des 1 Mio. Euro übersteigenden Gesamtbetrags der Einkünfte. Bei einem bestehenden Verlustvortrag in Höhe von z.B. 3 Mio. Euro und einem zu versteuernden Einkommen vor Verlustausgleich im aktuellen Jahr in Höhe von z.B. 2 Mio. Euro bedeutet das: Es können lediglich 1,6 Mio. Euro der Verluste ausgeglichen werden, während für 400 000 Euro Steuern anfallen. Die verbleibenden Verluste können erst in den Folgejahren abgezogen werden.

 Allgemein wird in dieser liquiditätsbelastenden zeitlichen „Streckung“ des Verlustabzugs kein Verfassungsverstoß gesehen. Das gilt aber nur solange, wie ein Abzug der verbleibenden Verluste in den Folgejahren prinzipiell möglich ist. Bedenken bestehen jedoch, wenn es zu einem endgültigen Fortfall der Verlustnutzungsmöglichkeit kommt. Diesen Bedenken hat sich der BFH nun angeschlossen.“

Das konkrete Verfahren betraf eine GmbH, die hohe Verluste erwirtschaftet und diese wegen der Mindestbesteuerung nur teilweise abziehen konnte. In der Folgezeit kam es zu einer Umstrukturierung und einem Gesellschafterwechsel, der dazu führte, dass der wegen der Mindestbesteuerung nicht ausgenutzte Verlustvortrag nach § 8c des Körperschaftsteuergesetzes (KStG) in Gänze verloren ging. Der BFH hat ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Mindestbesteuerung, soweit sie für einen derartigen endgültigen Ausfall des Verlustabzugs keine gesetzliche Vorsorge trifft. Er erwägt deswegen eine verfassungskonforme Normauslegung. Offen bleibt, ob § 8c KStG nicht seinerseits Verfassungsbedenken aufwirft.

Bundesfinanzhof
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BMF setzt das Sanierungsprivileg des § 8c Abs. 1a KStG aus


 

"Gewinn" "Verlust" "Verlustvortrag" "Sanierungsklausel" "Sanierungsprivileg"
Die Sanierung für Kapitalgesellschaften wird erschwert

Das BMF hat mit Schreiben vom 30.04.2010 mitgeteilt, dass § 8c Abs. 1a KStG – die sog. Sanierungsklausel – vorerst nicht mehr anzuwenden ist. Damit reagiert das Ministerium auf ein Verfahren, das die europäische Kommission gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat.

Zum Hintergrund: Die Regelung des § 8c Abs. 1a KStG sieht vor, dass bei sanierungsbedürftigen Kapitalgesellschaften unter bestimmten Voraussetzungen ein Verlustvortrag nicht untergeht, auch wenn mehr als 25% der Anteile übertragen werden. Dabei unterscheidet die Vorschrift zwischen angeschlagenen Unternehmen, die auf diese Weise einen steuerlichen Vorteil erhalten, das sog. Sanierungsprivileg, und gesunden Unternehmen, bei denen eine Anteilsübertragun von mehr als 25% nach wie vor zum Untergang des Verlustvortrags führt.

Gerade in dieser Unterscheidung sieht die europäische Kommission aber eine unzulässige Beihilfe.

Was bedeutet das für die Unternehmen?  Soweit sie bereits von der Regelung des 8c Abs. 1 KStG begünstig wurden, bleiben die Bescheide vorerst unberührt. Allerdings werden die Unternehemen über die Verfahrenseinleitung durch die europäische Kommission informiert. Ob hier das Risiko von Rückzahlungen auf die bereits erhaltenen Vergünstigungen besteht, sollte geprüft werden.

Schlimm ist allerdings, dass eine erhebliche Unsicherheit über die steuerliche Behandlung bei anstehenden Sanierungen entstanden ist, bei denen eine Sanierung mit Anteilsübertragung unter Berücksichtigung des Sanierungsprivilegs erfolgen soll.

Verlustvortrag und Restschuldbefreiung


Verlustvorträge aus der Insolvenz nutzen
Verlustvorträge aus der Insolvenz nutzen

Für viele Steuerplichtige, die von einer Insolvenz ihres Einzelunternehmens betroffen sind, stellt sich die Frage: Können Verlustvorträge aus der Zeit vor der Insolvenz danach genutzt werden und was passiert damit im Zeitpunkt der Restschuldbefreiung?

Die Ausgangssituation: In der Regel ist die Insolvenz das Ergebnis einer mehr oder weniger lang anhaltenden Verlustperiode, die zu steuerlichen Verlustvorträgen führt. Nach der Insolvenzeröffnung versucht der Ex-Unternehmer wieder auf die Beine zu kommen, sei es durch eine neue unternehmerische Tätigkeit (im Einvernehmen mit dem Insolvenzverwalter) oder durch eine unselbständige Beschäftigung. Daraus erzielt er/sie im günstigsten Fall positive Einkünfte. Nach Ablauf von 6 Jahren wird die Restschuldbefreiung erteilt, die in der Wirkung einem Erlass zuvor betrieblicher Verbindlichkeiten gleichsteht. Da diese Verbindlichkeiten in der Vergangenheit, d.h. vor der Insolvenzeröffnung,  zu betrieblichem Aufwand geführt haben, ergibt sich aus ihrem Erlass ein steuerpflichtiger Sanierungsgewinn.  

Die Rechtslage: Sanierungsgewinne sind entgegen einer früheren Regelung nicht mehr von der Einkommensteuer befreit. Das BMF (Bundesministerium der Finanzen) hat mit einer Verwaltungsanweisung aus 2003 zunächst geregelt, dass ein Sanierungsgewinn aus dem Erlass von  unternehmensbezogenen Verbindlichkeiten zwar grundsätzlich steuerpflichtig ist, aber unter bestimmten Voraussetzungen die Steuer, die  nach Berücksichtigung von unternehmensbezogenen Verlustvorträgen auf den Sanierungsgewinn entfiel, erlassen bzw. abweichend von der allgemeinen Steuerpföocht festgesetzt werden kann. Damit sollte eine unternehmensbezogene Sanierung gefördert werden. Das galt aber ausdrücklich nicht für die unternehmerbezogene Sanierung. Eine Betriebseinstellung nach der Insolvenz oder eine sog. übertragende Sanierung durch Verkauf von einzelnen Vermögensgegegenständen an einen Nachfolger war nach dieser Lesart aber keine Unternehmenssanierung. Im Ergebnis bedeutete dies, dass die Restschuldbefreiung des Unternehmers selbst von dieser Begünstigung nicht erfasst wurde.

Mit BMF-Schreiben vom 22.12.2009 wurde nunmehr auch die unternehmerbezogene Restschuldbefreiung von dieser Regelung umfasst. Damit hat das BMF anerkannt, dass ansonsten ein Zielkonflikt zwischen dem Insolvenz- und dem Steuerrecht entsteht: Während zivilrechtliche Schulden von der Restschuldbfreiung erfasst werden, entstünde aus dieser Befreiung ein steuerpflichtiger Sanierungsgewinn, der nicht durch Billigkeitsmaßnahmen – d.h. Gerechtigkeit im Einzelfall – wie Erlass und abweichende Steuerfestsetzung – kompensiert werden könnte.

Jetzt gilt:

  • Der Verlustvortrag aus der Zeit vor der Insolvenz ist mit positiven Einkünften des Schuldners aus der Laufzeit des Insolvenzverfahren zu verrechnen. Achtung: Steuererstattungen des Schuldners, die sich daraus ergeben, unterliegen unter bestimmten Voraussetzungen dem Zugriff des Insolvenzverwalters und damit der Gläubiger oder der Möglichkeit des Finanzamtes zur Aufrechnung mit Steuerschulden.
  • Der Sanierungsgewinn aus der Restschuldbefreiung ist zunächst mit dann noch bestehenden Verlustvorträgen zu verrechnen.
  • Bleibt danach noch ein Sanierungsgewinn,  kann dieser auf Antrag erlassen werden, zunächst wird allerdings nur vorläufig die Steuer gestundet, wegen möglicher Verluste im Folgejahr.
  • Da im Folgejahr nach der Restschuldbefreiung auch noch ein Verlust entstehen kann, der nach den Regelungen des § 10d EStG grundsätzlich ins Vorjahr  zurückgetragen werden soll, muss auch dieser noch für den Ausgleich des Sanierungsgewinns zur Verfügung gestellt werden. ACHTUNG: Stellt der Steuerpflichtige den grundsätzlich zulässigen Antrag, keinen Verlustrücktrag, sondern stattdessen einen – neuen – Verlustvortrag vorzunehmen, gilt der zuvor gestellte Erlassantrag bezüglich der Steuer auf den Sanierungsgewinn als zurückgenommen.
  • Ist das Folgejahr endgültig veranlagt und die Verlustverrechnung durchgeführt, wird der endgültige Erlass der Steuer auf den danach noch verbliebenen Sanierungsgewinn aus der  Restschuldbefreiung ausgesprochen.
  • Bleibt nach dieser Vorgehensweise noch ein Verlustvortrag, kann dieser nach den allgemeinen einkommensteuerlichen Regelungen weiter genutzt werden.

Fazit: Es besteht die Möglichkeit einen bei der Restschuldbefreiung noch bestehenden Verlustvortrag im Rahmen der Restschuldbefreiung zu nutzen. Wichtigste Voraussetzung dafür ist es aber, dass alle Verluste bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahren auch wirksam festgestellt werden. Das setzt voraus, dass auch rückständige Buchführungen und Gewinnermittlungen aufgearbeitet werden. Insolvenzverwalter tun dies in der Regel nicht. Dadurch gehen Verlustvorträge verloren. Der ehemalige Unternehmer sollte daher notfalls versuchen, dies in eigener Regie zu organisieren. Das Maximum an Verlustvorträgen kann dabei herausgeholt werden, wenn besondere Kenntnisse des Liquidations-Bilanzrechts und Insolvenz-Steuerrechts vorliegen.  Der Verlustvortrag kann auch schon während der sechsjährigen Phase des Insolvenz- und Restschuldbefreiungsverfahrens dazu genutzt werden,  um den Neustart zu finanzieren. In jedem Fall muss der ehemalige -und vielleicht auch zukünftige – Unternehmer dafür sorgen, dass er während des Insolvenzverfahrens umfassend steuerlich und insolvenzrechtlich betreut wird.